Prof. Dr. Klaus Junker
Im frühen Griechenland (8. bis 6. Jahrhundert v.Chr.) sind auf dem Feld der materiellen Kultur zwei Neuerungen zu beobachten, die beide als vitale Mittel der Verständigung in einer dynamisch und damit auch unsicher gewordenen Gesellschaft zu verstehen sind. Grundlegend neu ist die Schaffung einer mit figürlichen und szenischen Darstellungen arbeitenden Bildsprache, ein mit der Einführung der Schrift synchron verlaufender Vorgang. Die zweite Neuerung, die Monumentalisierung von Objekten, knüpft dagegen an Bestehendes an, die aufwendige Privatrepräsentation einzelner Mitglieder der Elite. Diese Praxis erhält ab dem mittleren 8. Jahrhundert jedoch eine neue Qualität, indem in den folgenden circa 200 Jahren die technischen Möglichkeiten auf verschiedenen Feldern bis zum Extrem ausgeschöpft und als „kolossal“ zu bezeichnende Objekte geschaffen werden, die über das bisher vertraute Maß jeweils entschieden hinausgehen. Die Art der Objekte umfasst „Geräte“ (u.a. Terrakottagefäße, Bronzekessel), Statuen sowie Architektur; Orte oder Funktionsbereiche sind zunächst das Grab, schon ab dem 8. Jahrhundert und dann dauerhaft jedoch Heiligtümer. Erstes zentrales Anliegen des Vorhabens ist es, das bisher erst in schwachen Ansätzen erforschte Phänomen „Kolossalität“ überhaupt als solches sichtbar zu machen. Auf der Basis einer im Rahmen des Projekts zu erstellenden homogenen Datengrundlage wird in einem zweiten Schritt die Darstellung der Geschichte des kolossalen Formats im frühen Griechenland erfolgen. Zu zeigen ist, dass bei aller Heterogenität der einzelnen Objektarten ein im Kern identischer Impuls vorhanden ist, der darauf zielt, Einzelobjekte zu schaffen, die durch ihre Dimensionen und den Gestaltungsaufwand aus der Masse der Grabrequisiten und Weihgeschenke herausragen und so eine außerordentliche Wirkung erzielen. Im zweiten Teil des Projekts steht die historische Kontextualisierung im Vordergrund: Inwieweit indiziert das „Herausragen“ der Objekte innerhalb der materiellen Kultur die Absicht der Stifter, andere zu überragen und damit einen Führungsanspruch in der Gesellschaft zu behaupten oder zu reklamieren? Diese zunächst mechanistische Übertragung ist, so die Arbeitshypothese, in der Weise zu differenzieren, dass die Praxis der Schaffung kolossaler Objekte eine Form von Konkurrenz bezeugt, bei der die Abgrenzung gegenüber denen, die nicht zur Elite gehören, ebenso stark ausgeprägt ist wie die Integration innerhalb dieser Gruppe. Mit diesem Erklärungsansatz ergeben sich enge Anknüpfungspunkte an die intensiv geführte althistorische Debatte um Institutionalisierung und Entstehung von Staatlichkeit in der griechischen Welt. Die aus den – großenteils späteren und sehr disparaten – schriftlichen Quellen entwickelten Positionen zu dieser Frage können durch die ungleiche dichtere (und zeitgenössische!) archäologische Überlieferung überprüft und modifiziert werden und es kann dem abstrakten Begriff der Konkurrenz ein konkretes Gesicht gegeben werden.
Publikationen zum Vorhaben
Rezension zu H. Kyrieleis, Der große Kuros von Samos 10 (Bonn 1996), Gnomon 72, 2000, 63–70
Opferrinnenzeremonie und Potlatch. Ein Testfall der interkulturellen Analyse, Archäologischer Anzeiger 2018/1, 231–254
Vom Prachtgefäß zum Riesentempel. Archaische Kolossalwerke als Mittel der Konkurrenz, in: J. Meister – G. Seelentag (Hrsg.), Konkurrenz und Institutionalisierung in der griechischen Archaik (Stuttgart, im Druck)