Weißgrundige Lekythos

Inv. 132 (aus der Sammlung Preyss erworben; Fundort unbekannt)
Höhe: 33,2 cm; Durchmesser der Schulter 10,2 cm; Durchmesser des Einsatzes 2,2 cm

Erhaltungszustand: Aus Fragmenten zusammengesetzt, die Schulter mit Einsatz wurde jedoch abnehmbar belassen.
Einordnung: Athen, weißgrundig, ca. 440 v. Chr.

Das Gefäß, das wir heute als Lekythos benennen, gehört in die Gruppe der Ölgefäße. In der griechischen Antike allerdings wurden alle Ölgefäße (z. B. auch Aryballoi und Alabastra) als lékythos bezeichnet. Grundsätzlich besaßen sowohl schwarz- und rotfigurige als auch weißgrundige Lekythen die Funktion als Ölgefäß im Bereich des Hauses. Dabei wurde das Öl zunächst leicht auf die Lippe gegossen, um es von dort mit dem Finger abzunehmen - der Rest konnte einfach wieder zurückfließen. Die Form der weißgrundigen Lekythos hat sich im Laufe der Zeit nur sehr wenig verändert. Das im Anschluss vorgestellte Stück kann als Vertreter par excellence für diese Gefäße angesehen werden. Die Größe variiert allerdings stark. Man kennt Stücke von ca. 25 cm, doch kann die Größe auch bis zu einem Meter betragen.

Schon seit geometrischer Zeit werden Gefäße in verschiedenen griechischen Regionen mit einem weißen bzw. hellen Überzug versehen, um die polychrome Bemalung besser hervorzuheben. Vermutlich sollten solche weißgrundigen Gefäße edle und teure Stoffe wie Marmor, Alabaster, Straußeneier und Elfenbein nachahmen.

Gegen 530/25 v. Chr. wurde dann die sog. weißgrundige Technik entwickelt. Zunächst muss man diese allerdings als Variante der schwarzfigurigen Technik ansehen: Das Gefäß wurde zuerst mit einem weißen, kaolinithaltigem Tonschlicker überzogen. Danach hat man die Figuren und Gegenstände mit dunklem Malschlicker aufgemalt. Im lederharten Zustand wurden schließlich die Ritzungen für die Abgrenzungen und Details vorgenommen. Danach konnte das Gefäß gebrannt werden. Ab ca. 500 v. Chr. dann hat man begonnen, die Umrisse der Figuren und Gegenstände zu zeichnen. So entwickelte sich die weißgrundige Technik zu einem eigenständigen Dekorationsverfahren.

Es ist auch zu bemerken, dass zu Beginn der Technik bis ca. Mitte des 5. Jh. v. Chr. der Hintergrund keine reinweiße Färbung aufweist, sondern eher eine grau-bräunliche bis gelbliche (Abb.1). Dies hatte den Effekt, dass die nackten Hautteile der Frauen in einem hellen Weiß dargestellt werden konnten, wie es schon bei der schwarzfigurigen Malerei praktiziert wurde.

Ab ca. 450 v. Chr. ist jedoch zu beobachten, dass der Tonhintergrund immer heller wird und sich zu dem weißen Farbton entwickelt, den auch das später zu behandelnde Stück aufweist. Gleichzeitig mit dieser Veränderung wächst das Farbspektrum auf den Gefäßen. Neben den keramischen Farben verwendeten Vasenmaler nun auch Blau- und Grüntöne, die sie aus mineralischen Substanzen gewonnen haben. Diese Farben wurden allerdings nicht vor, sondern erst nach dem Brand aufgetragen, was dazu führte, dass sie schlechter auf dem Tongrund haften und heute nur noch sehr wenig bzw. verblasst erhalten geblieben sind.
Eine weitere Veränderung ab der Mitte des 5. Jahrhundert v. Chr. kann man an den Konturlinien sehen. Während sie vorher nur in schwarzer Farbe aufgetragen wurden,
ist man nun dazu übergegangen, diese ebenfalls in roter und in Mattfarben aufzutragen.

Von 530/20 bis ca. 450 v. Chr. hat man die weißgrundige Technik auf unterschiedlichen Gefäßen verwendet, in Athen hauptsächlich auf kleineren Gefäßen wie Lekythen, Alabastra, Pyxiden und Schalen; seltener wurden große Gefäße mit dieser Technik versehen. Ab etwa der Mitte des 5. Jahrhunderts hat man diese Technik dann allerdings nur noch auf Lekythen angewandt.

Auffällig ist, dass ab diesem Zeitpunkt auch die Funktion als allgemeines Ölgefäß im alltäglichen Bereich aufgegeben wird und die weißgrundigen Lekythen nur noch in Verbindung mit dem Grabbereich zu sehen sind. Die Funktion der Gefäße dabei ist allerdings noch nicht ganz erschlossen. Zu denken wäre zunächst an eine Verwendung als Grabbeigabe. Möglicherweise haben die Gefäße aber auch ihre ursprüngliche Funktion als Ölbehälter bewahrt und man benutzte sie zum Ausgießen einer Spende, von Öl auf einen Grabstein oder zur Salbung des Verstorbenen.

Darstellungen von Grab und Tod herrschen in der Ikonographie der weißgrundigen Lekythen vor, wobei sich das Darstellungsspektrum allerdings auf wenige Motive beschränkt. Sehr selten sind mythologische Darstellungen, auf welchen zum Beispiel Hypnos (Schlaf) und Tanathos (Tod) abgebildet sind, die einen Toten forttragen. Beliebter waren Darstellungen, die eine junge Frau in ihrem Gemach, einen Kriegerabschied (Abb. 2) oder den Besuch an einem Grab zeigen (Abb. 4).

Die Restaurierung der Lekythos Inv. 132, die im Folgenden näher betrachtet werden soll, wurde nicht sehr sauber ausgeführt, da die Bruchlinien noch deutlich zu sehen sind (Abb. 3). Einige nicht ausgebesserte Fehlstellen sind geblieben,. Die Farben sind stark verblasst und die schwarze Farbe ist von der Lippenaußenwand, Hals und Henkel teilweise abgeblättert. Mit einer Größe von 33,2 cm handelt es sich um eines der zahlreichen kleineren Gefäße.

Der Vasenkörper steht auf einem echinusförmigen Fuß, der an der oberen Kante eine Rille aufweist. Der Körper wächst zunächst kurz zylinderartig aus dem Fuß heraus, woraufhin sich das Volumen stark ausbreitet, dann aber an der breitesten Ausformung weiter zylinderartig bis zu der Schulter hinauf verläuft. Die Unter- und Außenseite des Fußes ist tongrundig, die Fußoberseite und der untere Teil der Vase ist schwarz gefärbt, während der Rest des Vasenkörpers bis zum Halsansatz jedoch weißgrundig ist. Die Schulter ist vom Bauch abgesetzt; anschließend verjüngt sich die Form zu einem schmalen Hals. Dieser ist durch einen Absatz vom Halsansatz getrennt und weist zudem, wie schon die untere Partie, einen schwarzen Überzug auf. Oben weitet sich der Hals zu einer ziemlich hohen echinusförmigen Lippe. Diese ist dickwandig und ihre Oberfläche tongrundig, während sie innen wieder schwarz gefärbt ist. Der Henkel verläuft von der Absatzkante des Halses nach oben und löst sich erst kurz unterhalb der Lippe vom Gefäß konkav nach außen und anschließend nach unten, sodass er wieder auf der Schulter trichterförmig abschließt.

Da man die Schulter abnehmbar belassen hat, kann man erkennen, dass das Gefäß einen sogenannten Spareinsatz von zylindrischer Form besitzt. Seit etwa 425 v. Chr. ist zu beobachten, dass weißgrundige Lekythen solche Einsätze aufweisen. Die Flüssigkeit hat sich also nicht direkt in dem Körper befunden, den wir von außen sehen, sondern nur in diesem kleinen Einsatz. Die Frage nach dem Grund dieser Vorgehensweise ist bis heute nicht zuverlässig beantwortet. Vielleicht wollte man auf diese Weise verhindern, dass zu viel von der kostbaren Flüssigkeit gebraucht wurde, oder der Einsatz diente eventuell als Schutz, damit die weiße Oberfläche keine Flecken oder Verfärbungen durch das Öl erhielt.

Auf der Vorderseite der Lekythos ist eine Szene mit zwei weiblichen Personen zu erkennen, die Rückseite ist nicht bemalt. Die Szene wird unten von einem dünnen tongrundigen Band, das a
llerdings nicht sehr sauber vom Maler ausgeführt wurde, und oben durch einen mattgrauen Mäander genau unterhalb des Schulterabsatzes, der von jeweils zwei umlaufenden braunen Linien flankiert wird, begrenzt.

Im Zentrum der Szene befindet sich ein längliches, quadratisches Objekt, das auf einer getreppten Basis steht (Abb. 4). Dieses kann als Grabstele interpretieren werden. Sie wird von zwei Frauen flankiert, wobei die linke ihren Fuß auf die zweite Stufe gestellt hat und die Grabstele mit bunten Bändern (Tänien) schmückt. Die andere Frau hat als ein Zeichen der Trauer die Hand an ihr Kinn gelegt. Beide Figuren tragen kurze Haare, was für Frauendarstellungen ziemlich selten ist. Es ist aber bekannt, dass sich Frauen in der griechischen Antike Haare im Rahmen des Totenritus die Haare rauften oder sie abschnitten, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Im Hintergrund ist ferner ein großer Hügel zu sehen, der die Szene im Vordergrund überragt.

Seit der Frühklassik gibt es Szenen, die die Vorbereitung zum Grabbesuch und den Besuch am Grab zeigen, wobei zunächst immer nur zwei Personen anwesend sind, während später vier bis fünf Personen auf einer Lekythos dargestellt werden. Zusätzlich konnte die Trauer auch durch Gesten hervorgehoben werden.

J. D. Beazley schreibt diese Lekythos dem sogenannten Sabouroff-Maler zu, der etwa von 460 bis 440 v. Chr. in Athen tätig war. Der Name ist modern und nach einem Stück aus der früheren Sammlung Sabouroff gewählt. Der Maler ist bekannt für seine rotfigurigen Vasen verschiedener Formen, vor allem aber für seine weißgrundigen Gefäße. Meist hat er Schalen und Lekythen mit der weißgrundigen Technik versehen und dabei ein reiches Repertoire an Grabikonographie verwendet. Seine häufigsten Darstellungen beinhalteten Prothesisszenen oder auch den Besuch am Grab, wie es unser Mainzer Exemplar veranschaulicht.

Literatur
ARV² 847, 207; E. Böhr, CVA Mainz, Universität (2) Taf. 22; K. Hoffmann in: K. Junker (Hrsg.), Aus Mythos und Lebenswelt. Griechische Vasen aus der Sammlung der Universität Mainz (Worms 1999) 72−76 (mit der älteren Literatur). - Zur weißgrundigen Technik: I. Wehgartner, Attisch-weißgrundige Keramik. Maltechniken, Werkstätten, Formen, Verwendung (Mainz 1983); M. Bentz - W. Geominy - J. M. Müller (Hrsg.), Tonart. Virtuosität antiker Töpfertechnik. Ausstellungskatalog Bonn (Petersberg 2010) 45−50. - Zur Darstellung: J. H. Oakley, Picturing Death in classical Athens (New York 2004) 145−215.

NICOLA NAPPERT