Ausstellungen in der Originalsammlung

 

Ein Reliefbecher schreibt Geschichte

Die studentische Sonderausstellung basiert auf den Ergebnissen der Bachelorarbeit von Kai Gaßmann, der den Reliefbecher 212 aus der Originalsammlung der Klassischen Archäologie erstmals wissenschaftlich untersuchte. Die Untersuchung wurden vom Fachbereich 07 als hervorragende Abschlussarbeit ausgezeichnet und die interessanten Ergebnisse werden nun in dieser hybrid-Ausstellung präsentiert.

 

 

Plastischer Dekor auf der Außenseite von Reliefbecher 212 Foto von A. Schurzig

 

Verbreitung
Gefäß 212 gehört zur Keramikgattung der hellenistischen Reliefbecher. Diese waren in hellenistischer Zeit beliebte Trinkgefäße für Wein, die über den gesamten Mittelmeerraum verbreitet waren.

 

Überarbeitete Karte von P. G. Bilde, Mouldmade bowls, centres and peripheries in the Hellenistic world, in: P. Bilde u. a. (Hrsg.), Centre and periphery in the Hellenistic world, Studies in Hellenistic civilization 4 (Aarhaus 1993) Abb. 1

 

Nachdem über Jahrhunderte das Tafelgeschirr hauptsächlich mit Malschlicker dekoriert wurde, sticht die neue Keramikgattung durch plastischen Dekor heraus.

 

Wie wurden hellenistische Reliefbecher hergestellt?
Hellenistische Reliefbecher wurde mit einem zu der Zeit neuen Herstellungsverfahren gefertigt: Mittels Formschüsseln. Die zuvor eigens angefertigten Formschüsseln wurden mit Punzen und Ritzungen dekoriert, und konnten dann seriell zur Herstellung hellenistischer Reliefbecher verwendet werden.

 

 

Innen- und Seitenansicht einer Formschüssel
Foto von Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) / R. Müller

 

Innen- und Außenansicht von Reliefbecher 212 Fotos von A. Schurzig

 

 

Die ersten Formschüsseln zur Herstellung der neuen Keramikgattung entstanden wohl durch die Abformung von ptolemäischen oder nachgeahmten ptolemäischen Metallgefäßen.

 

Wie datiert das Gefäß und wo kommt es her?
Das Gefäß lässt sich im Kontext der Entstehung und Etablierung der Keramikgattung der hellenistischen Reliefbecher verorten. Es wurde zwischen ca. 220-175 v. Chr. hergestellt und datiert damit in die Anfangszeit der neuen Keramikgattung.

 

Ansicht von Reliefbecher 212 Foto von A. Schurzig
Ansicht des Reliefbechers 212 von unten Foto von A. Schurzig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Herkunft des hellenistischen Reliefbechers lässt sich weiterhin über typologische Vergleiche nach Athen zurückverfolgen, das als ältestes Produktionszentrum der neuen Keramikgattung gilt.

Charakteristisch für hellenistische Reliefbecher aus Athen sind der schwarze, metallische Überzug sowie zwei mit Miltos (eine rote Farbe) gefüllte Rillen. Diese befinden sich einerseits unterhalb des Gefäßrandes und andererseits zwischen den Wölbungen des ringförmigen Bodens.

Welcher Werkstatt entstammt das Gefäß?
Über stilistische Vergleiche lässt sich das Gefäß der athenischen Werkstatt des Bion zuordnen. Diagnostische Merkmale sind insbesondere die fliegenden Vögel, das Randornament, die Perlenreihen, Kratere und Hähne. Der Werkstatt des Bion wird Susan Rotroff zufolge die Erfindung der neuen Keramikgattung der hellenistischen Reliefbecher zugeschrieben. Die Theorie ist allerdings noch lückenhaft.

 

Reliefbecher Inv.-Nr. 212, M 1:1 Zeichnung von Kai Alec Gaßmann

 

Gut nachvollziehen lässt sich hingegen, dass die Werkstatt des Bion einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der hellenistischen Reliefbecher im griechischen Mittelmeerraum leistete. Die athenische Töpferei expandierte zunächst nach Argos, dann nach Korinth und später bis zur Insel Lemnos. Dies zeugt von der Mobilität der Töpfer und Geschäftsleute, die so ein neues Wirtschaftsnetzwerk aufbauten und das technische Wissen zur Herstellung der neuen Keramikgattung verbreiteten.

 

Verbreitung der Werkstatt des Bion Zeichnung auf Vorlage von Kai Alec Gaßmann

 

Was sagt der Dekor des Gefäßes aus?
Der Dekor von Gefäß 212 verweist auf seinen Verwendungskontext zum Trinken von Wein während des Symposions. Die abgebildeten Gefäße können als Kratere gedeutet werden: Gefäße zum Mischen von Wein und Wasser. Die antithetisch angeordneten Hähne und Eroten lassen sich in Zusammenhang mit dem Hahnenkampf bringen, der mit der dionysischen Welt verbunden ist. Die Bildformel basiert trotz der Entwicklung von der Mal- zur Relieftechnik auf den Bildtraditionen der Vasenmalerei, was von einer weitertradierten Bildersprache seit der archaischen Zeit zeugt.

 

Detail des Reliefbechers
Zeichnung von Kai Alec Gaßmann
Detailansicht der geflügelten Figur des Reliefbechers 212
Foto von A. Schurzig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Besonders ist das zentrale Motiv einer geflügelten Figur, von der nur der Kopf und der Flügel erhalten sind.

Wie kann die Darstellung rekonstruiert werden?
Fragmentierte Darstellungen können durch den Vergleich mit besser erhaltenen Gefäßen mit gleicher Dekoration rekonstruiert werden. Ein Reliefbecher aus der gleichen Matrize von der Athener Agora, durch den auch die Zuordnung zu der Bion-Werkstatt möglich war, zeigt die geflügelte Figur komplett erhalten. Sie ist in Seitenansicht abgebildet und hält einen Zweig in der Hand.

Die Figur stellt vermutlich Nike oder Eros dar, die beide in ähnlicher Ikonografie auf Münzen und Vasenbildern überliefert sind (s. Gefäß 128 in der Originalsammlung).

 

Ein hellenistischer Reliefbecher aus der antiken Keramiksammlung der Klassischen Archäologie
Bachelorarbeit von Kai Gaßmann (2024)
ausgezeichnet vom Fachbereich 07 als hervorragende Studierendenarbeit in der Kategorie
BA Abschlussarbeit

 


Erstellung eines Ausstellungskonzept – Praktikumsbericht von Kai Gaßmann

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit untersuchte ich aus der Originalsammlung einen hellenistischen Reliefbecher hinsichtlich seiner Provenienz und Datierung. Dabei konnte ich seine bisher unbekannte und herausragende Bedeutung herausstellen, und merkte im Fazit an, dass das Objekt in der Originalsammlung entsprechend mehr Aufmerksamkeit erfahren sollte. Dieser Anregung folgend schlug meine Betreuerin Anne Sieverling vor, eine kleine Dauerausstellung in der Originalsammlung für den hellenistischen Reliefbecher zu erstellen, um auf das bisher verkannte Objekt aufmerksam zu machen. Die Planung und Umsetzung konnte ich als Praktikum absolvieren. Außerdem ergab sich die Möglichkeit, dass ich Ende 2025 die Ergebnisse meiner inzwischen vom Fachbereich ausgezeichneten BA in den Mainzer Winckelmann-Blättern vorstellen und somit meine erste Publikation vorweisen kann.

Für die Ausstellung war einiges an Vorbereitung notwendig. Zunächst fasste ich die Ergebnisse meiner BA als kurze Ausstellungstexte zusammen und recherchierte einige Aspekte neu, um ein stimmiges Konzept zu erstellen. Dabei war es überraschend herausfordernd, die Inhalte aus meiner BA zum Teil neu zu denken, um sie präsentationsfähig zu machen. Die Ausstellungsplanung und die erneute Verschriftlichung haben mir jedoch viele Einblicke gegeben, was alles dazu gehört, ein einziges Objekt ausführlich und dennoch knapp vorzustellen. Auch die Umzeichnung des hellenistischen Reliefbechers, die zur BA gehörte, musste angepasst werden. Eine neue Erfahrung war es zudem, Kartierungen zu erstellen und zu überarbeiten, wofür ich mich in bis dahin unbekannte Bildbearbeitungsprogramme wie IrfanView einarbeitete. Gute Fotos herauszusuchen, die für die Ausstellung öffentlich gezeigt werden durften, stellte sich ebenso als Herausforderung dar. Anne Sieverling beantragte beim Kulturministerium für Antiken von Athen, der American School of Classical Studies und dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) erfolgreich qualitätvolle Vergleichsfotos. Schließlich wurden Bilder und Texte festgelegt, und der Druck bei der Universitätsdruckerei in Auftrag gegeben. Zwischendurch schlossen sich immer wieder Stellproben in der Originalsammlung an, um zu entscheiden, wie das Objekt in der Vitrine mit den Informationstexten angeordnet werden könnte. Dabei wurde das Objekt für seine Aussagefähigkeit auch mit weiteren Objekten aus der Sammlung ergänzt.

Bei der Ausstellungsplanung hat mir insbesondere die flexible und weitestgehend zeitlich ungebundene Arbeitsweise gefallen, wodurch die einzelnen Schritte bei der Vorbereitung auch gut über das Semester hinweg verteilt und nacheinander abgearbeitet werden konnten. Insgesamt kann ich nur mehr Studierenden empfehlen, sich mit Objekten aus der Originalsammlung im Rahmen von Abschlussarbeiten zu beschäftigen und dann die Chance zu ergreifen, dort eigene Ergebnisse zu präsentieren.

 

Fotos von J. Weber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Präsentation der studentischen Sonderausstellung am 4. November 2024 in der Originalsammlung der Klassischen Archäologie: