Das sogenannte Hekateion im Athener Kerameikos

Das als Hekateion bezeichnete Areal befindet sich im westlichen Bereich des Kerameikosgeländes in Athen, südlich der sog. Gräberstraße (Abb. 1). Ihm vorgelagert, sowohl zur Gräberstraße nach Norden als auch zum Querweg nach Osten, liegen aufwendige Grabbezirke des 4. Jh. v. Chr. Der Bezirk selbst besteht aus einem annähernd rechteckigen Hof mit rechteckigem Annex an seiner Nordseite und wird von einer aus Bruchsteinen und Spolien bestehenden Mauer umfasst. Innerhalb dieser Mauerzüge wurden neben einem gut erhaltenen Brunnen mehrere Objekte gefunden, die auf einen dort praktizierten Kult hinweisen. Dazu zählen u. a. ein Altar, ein Omphalos (Abb. 2) und eine Statuenbasis. Die Statuenbasis ist in einer Nische im nördlichen Annex aufgestellt und weist an ihrer Oberseite eine dreieckige Einlassung auf. Da dreiseitige Standbilder besonders für die Göttin Hekate bekannt sind, wurde der Bezirk als Temenos der Hekate benannt und seitdem unter dieser Bezeichnung in der Literatur geführt.

Die erste archäologische Untersuchung des Areals erfolgte im Jahr 1890 durch Kyriakos Mylonas. Von ihm stammt auch die Bezeichnung als Hieron der Hekate. Ab 1907 erfolgten weitere Grabungen durch Alfred Brückner, der die sichtbaren Strukturen des Temenos aufgrund stratigraphischer Überlegungen in das 2. Jh. n. Chr. datierte. Beide Forscher veröffentlichten ihre Erkenntnisse in knappen Grabungsberichten, eine vollständige Publikation der gefundenen Artefakte und des gesamten Areals fehlt jedoch bis zum heutigen Tage. Diese Möglichkeit einer vollständigen Publikation dieses bisher singulären Bezirks besteht nun dank der Einladung von Dr. Jutta Stroszeck, der örtlichen Leiterin der Kerameikosgrabung, und dem Deutschen Archäologischen Institut in Athen.

Die Untersuchung wird sich zuerst mit einer Analyse des Geländes beschäftigen. Da sich im 4. Jh. v. Chr. dort nachweislich Anlagen einer Töpferwerkstatt befanden, muss geklärt werden, ab welchem Zeitpunkt das Areal als Heiligtum genutzt wurde. Die aus dem 2. Jh. n. Chr. stammenden Strukturen müssen nicht zwangsläufig die erste Phase des Heiligtums bedeuten.
Ein weiterer Untersuchungsabschnitt gilt der dort verehrten Gottheit. Im Temenos wurde nämlich, wenn auch in sekundärer Verwendung, eine Inschrift an Artemis Soteira gefunden (Abb. 3), eine Inschrift an Hekate fehlt jedoch. Eine Beziehung dieser beiden Göttinnen zueinander deutet sich bereits in klassischer Zeit durch ihre ikonographische Ähnlichkeit als Fackelträgerinnen an. Und auch in den klassischen Tragödien werden beide teilweise gleichgesetzt. In nachchristlicher Zeit wird die Beziehung in stark synkretistisch geprägten Schriften, wie den Papyri Graecae Magicae oder den Chaldäischen Orakeln verstärkt literarisch greifbar. Es gilt also, zu klären, wie die Inschrift an Artemis zu deuten ist, ob vielleicht beide Gottheiten im Temenos verehrt wurden und wenn ja, ob sie als eigenständige Gottheiten oder in einer synkretistischen Verschmelzung verehrt wurden. Die Kultpraxis soll dabei aus den zu Tage getretenen Artefakten und durch Vergleiche zu anderen Heiligtümern geschlossen werden. Ein Opferritus ist durch die vorhandene Altaranlage belegbar.
Was die Funktion des Heiligtums betrifft, so scheint seine Lage außerhalb der Stadtmauern und nicht direkt von den Verkehrswegen einsehbar auf einen Kult privater Natur hinzudeuten. Möglicherweise lässt die Lage unweit der wichtigen Straße zum Piräus Beziehungen zu anderen Heiligtümern ähnlichen Charakters zu. Innerhalb der Stadtmauern Athens wird Hekate an prominenter Stelle, nämlich auf der Akropolis greifbar, und dies bereits im 5. Jh. v. Chr. Außerhalb Athens ist sie im Heiligtum der Demeter und Persephone in Eleusis zu finden. Dabei zeichnen sich sowohl die Hekate Epipyrgidia auf der Akropolis als auch die eleusinischen Hekate durch die Position an einer Eingangssituation aus.
Es gilt also zu erforschen, wie der Kult der Hekate und eventuell auch der Artemis Soteira im Kerameikos zu verstehen ist und welche Funktionen das Heiligtum im Kerameikos innehatte. Dadurch soll das Bild möglicher kultischer Bezüge innerhalb Athens und auch Attikas vervollständigt und um einen außergewöhnlichen Heiligtumsbezirk bereichert werden.